Das Neue Familienstellen -das Vermächtnis Bert Hellingers

Das "Neue Familienstellen" nannte Bert Hellinger sein spätes Schaffen. Es arbeitet auf einer völlig anderen Ebene als das „traditionelle“ Familienstellen. Christian Adolphy war langjähriger Schüler von Bert Hellinger und ist einer der wenigen Aufstellungsleiter, die konsequent dieses "neue" Familienstellen praktizieren. 

Bert Hellinger entwickelte das Familienstellen aus der Familientherapie heraus. Es war zunächst nur eine Art Technik um Beziehungen und Familiendynamiken sichtbar zu machen. Er hatte, so glaube ich, am Anfang kaum die Absicht, eine spirituelle Arbeit daraus zu machen. Das „alte“ Familienstellen bewegte sich in diesem Bereich. Wir stellten dann zum Beispiel eine Art „Unordnung“ in einer Familie fest, und wollten diese nach unseren Vorstellungen wieder in Ordnung bringen. Viele praktizieren diese Art von Familienstellen heute noch so.


Im Laufe der Zeit beobachtete Bert Hellinger nun aber, dass manche Stellvertreter begannen, sich von alleine zu bewegen, ohne dass der Aufstellungsleiter sie dazu aufgefordert hätte. Diese Bewegungen waren im Wesentlichen Bewegungen innerhalb des Gewissens der Familie, so bewegte sich zum Beispiel ein Stellvertreter auf einen toten Ahnen hin oder Familienmitglieder bewegen sich voneinander weg oder zueinander hin. Man konnte also, sozusagen, Bewegungen der Stellvertreter innerhalb der „Familienseele“ beobachten. Dies war unerwartet und bemerkenswert, die Stellvertreter schienen sich also in gewisser Weise medial zu verhalten.


Nach weiteren vielen Jahren der Erfahrung mit solchen Aufstellungen und in der Zusammenarbeit mit seiner Frau Sophie beobachtete Bert Hellinger noch eine andere Art von Bewegungen, insbesondere bei Aufstellungen in größerem Rahmen wie etwa mit Tätern und Opfern der Kriege. Hier scheinen die Bewegungen auf einer ganz anderen Ebene stattzufinden. Diese Bewegungen sind oft völlig jenseits unseren Erwartungen, unserer Logik und unserer Moral. Woher kommen diese Bewegungen? Wer oder was stößt sie an? Wir können hier nur beobachten, wie Bewegungen scheinbar von einer anderen schöpferischen Kraft kommen. Diese Kraft scheint allen gleichermaßen zugewandt, zum Beispiel den Tätern wie den Opfern. Diese Bewegungen gehen immer darauf hin, Getrenntes zu verbinden, auf Frieden und Vollendung hin. Sie lassen sich nicht planen, nicht beeinflussen, wir können und dürfen sie weder forcieren noch unterbrechen. Vor diesen Bewegungen scheinen wir ohnmächtig. Und doch, oder gerade deswegen, beobachten wir dass diese Bewegungen für uns auf einer tiefen Ebene heilsam und dienlich sind. Wir spüren, das sie uns auf unserem Lebensweg weiter bringen, auf einer Ebene und in einer Tiefe, die wir mit unseren Verstand und unseren Techniken niemals erreichen könnten. Wir erfahren in dieser Arbeit das Alle und Alles von der gleichen schöpferischen Kraft bewegt werden und diese Kraft allen gleichermaßen zugewandt ist. In dieser Ebene zu arbeiten nannte Bert Hellinger „Gehen mit dem Geist“ oder das Neue Familienstellen.


So zu arbeiten verlangt eine tiefe Sammlung; sich leer zu machen für den Augenblick, die Herausforderung, von den Erwartungen der Teilnehmer zurückzutreten, von spirituellen Zielsetzungen oder Themen die wir uns ausgedacht haben zurückzutreten, vom Helfen wollen zurückzutreten, und ausschließlich dieser Kraft völlig zu vertrauen, von Augenblick zu Augenblick, ohne Plan, sich dieser schöpferischen Kraft völlig zu unterwerfen. Der Aufsteller ist so, in letzter Konsequenz, auch „nur“ ein Stellvertreter. Nur mit dieser Haltung kommen wir auf diese Ebene des Arbeitens. Sobald wir zweifeln, sobald wir eingreifen wollen, sobald wir interpretieren, sobald wir handeln, verlieren wir sofort den Kontakt zu dieser Ebene, sie zieht sich sozusagen sofort von uns zurück. Somit hat das Familienstellen sich praktisch aus sich selbst heraus auch zu einer spirituellen Arbeit entwickelt und wir beobachten, wie es sich ständig weiter entwickeln will, nie stehen bleibt, uns immer wieder verwundert, unsere alten Vorstellungen infrage stellt. Bert Hellinger sprach davon dass sich das Familienstellen in dieser Weise „verselbstständigt“ hat.

Sophie Hellinger sagte einmal über Bert: „Er ist ein Meister darin, Muster zu unterbrechen“. Er hat nie auch nur eine Minute verschwendet, kam höchst effektiv sofort auf den Punkt und wusste, welche Muster er unterbrechen musste, um den Klienten weiterzubringen. So wurde sein Umgang mit Klienten von verschiedenen Seiten als „empathielos“ und rüde beschrieben, in Wirklichkeit war es nur eine direkte, schnörkellose Unterbrechung des Musters, das den Klienten gefangen hält. In der Wirkung war das häufig eine tiefgreifende Heilung, die durch einen einzigen Satz, ja durch ein einziges Wort Hellingers, stattfinden konnte.

Eine weitere seltene Qualität Berts war die immerwährend schöpferische Art und Weise seiner Arbeit; sein ständiges und völliges Geführt-sein in neue Lösungen und neue Dimensionen. Ich habe niemals erlebt, das Bert eine seiner Erkenntnisse als „Technik“ wiederholt hätte. Immer verfeinerte und veränderte sich die Arbeit. Das ging so weit, das er seine früheren Erkenntnisse nicht nur relativierte sondern, wenn nötig, verwarf, wie etwa 2012, als er in einem Seminar klar sagte: „Das alte Familienstellen dürfen wir nicht mehr anwenden. Es war ein falsches Spiel“. Als Seminarteilnehmer war man so immer Teil seines schöpferischen Prozesses, man wurde sozusagen Teil der Weiterentwicklung des Familienstellens.

Warum der allergrößte Teil der Familienaufsteller heute immer noch das "alte" Familienstellen praktiziert und Bert Hellinger nicht auf diesem Weg gefolgt ist, ist mir ein Rätsel. Ich denke es hat damit zu tun, das Bert Anfang der 2000er Jahre, besonders nach dem Erscheinen seines Buches "Gottesgedanken", bei den großen Medien und auch bei vielen Therapeuten in Ungnade gefallen war. Seine Aussagen standen wohl zu sehr außerhalb der gesellschaftlichen Moral und der gängigen Vorstellungen und Methoden der "Therapie". Als Folge wurde nach dieser Zeit seine ständige Weiterentwicklung dieser Arbeit  hin zum Neuen Familienstellen nur noch von wenigen wahrgenommen und ernst genommen.

Es ist mir ein Bedürfnis, hier meinem großen Lehrer noch einmal zu danken: Lieber Bert, ich danke Dir von Herzen für die Heilung die ich durch Dich erfahren habe und für alles, was ich bei Dir lernen durfte! Dir zu Ehren möchte ich diese Arbeit weiterführen, schöpferisch weiterführen und so auch meine kleinen Erkenntnisse immer wieder Deinen großen Erkenntnissen hinzufügen. 

© Christian Adolphy 2021-2023. Alle Rechte vorbehalten.

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